Kaffee ist fertig!

Film ab!

Fahrgäste neigen ja Regelmäßig zu einer übertriebenen Vertrautheit gegenüber dem HerrnTaxifahrer, der sich dann auch anschickt gut zu zuhören, wegen der zu erwartenden Sensation für den Blog, damit der geneigte Leser etwas aussergewöhnliches zum Konsumieren hat.

Neulich hatte ich wieder ein Erlebnis, welches viele Andere hier in diesem Blog in den Schatten stellt. Zu Beginn der Fahrt mit der mir bis dahin unbekannten Frau versuchte ich wie üblich über das Wetter im Südkaukasus oder auf Hawaii mit ihr zu debattieren, um die Tour etwas aufzulockern.

„Schönes Wetter Heute!?“, eröffnete ich klassisch.

„Ich weiss!“, konterte sie meinen Schachzug, um mit einer Rochade vom Klima abzulenken und fortzufahren mit: “ Da sie mich das erste Mal fahren, möchte ich mich kurz vorstellen und etwas berichten, damit sie im Bilde sind!“

Die Büchse der Pandora öffnete sich mit einem lauten knarzen! Ich überprüfte kurz, ob ich auch angeschnallt war und spitzte meine Lauscher.

„Jetzt muss ich zu den Strahlen. Weil der Herr Doktoor nicht auf mich gehört hat! Hätte der früher zugehört, hätte ich diese Operation nicht haben müssen! Ich wollte eine Koloskopie, sie kennen das!?“

Nein nicht wirklich! Aus dem Italienischen kannte ich das Wort „Culo“, welches ins Deutsche übertragen „Arsch“ bedeutete. Mir fiel dann noch ein, das ich als kleiner Junge ein Mikroskop geschenkt bekommen hatte. Damit hatte ich allerlei Dinge betrachtet. In der Summe nahm ich an, das sie gern gehabt hätte, der HerrDoktor hätte ihr mit einem – nicht Mikro –  Skop in den Arsch geschaut! Der Vorspann des Filmes lief umgehend an. Vor meinem geistigen Auge öffnete sich ein Po und ein Optisches Guckwerkzeug schritt hinein.

Sie schaute kurz zu mir herüber, ich nickte, brummte „mmmhmmm!“

„Wenn der mir gleich geglaubt hätte, dann hätte der die Polypen im Darm schon viel früher und ganz leicht entfernen können, die waren bestimmt nur 5mm groß gewesen!“

Durch das Skop konnte ich die lustigen Gesellen sehen, wie sie sich an der Wand des Darm festsaugten und ernährten. Es stellte sich latente Übelkeit bei mir ein und sie legte nach:

„Aber jetzt, als die Schmerzen kamen, da guckt er dumm aus der Wäsche. Jetzt sind die schon auf 4cm angewachsen. Und dort wo sie saßen muß nun gestrahlt werden, wegen der angenommenen Krebsgefahr von 20 %!“

Es folgte noch ein „Rundumblick“ durch die Anamnesen der Verwandtschaft, welche auch unter vergleichbaren Symptomen litten und deren Therapien. Mein Gehirn projizierte riesige plumpe runde Möppel* vor meinem Auge, die frassen und frassen, Alles was ihnen vor kam!

Endlich am Ziel. In 20 Minuten kommt sie wieder von der Bestrahlungstherapie und es geht zurück.

Inzwischen hat es zu Regnen begonnen und ich überlege allen Ernstes, sie darauf anzusprechen.

„Bin ich denn bekloppt?“

 

 

*Möppel sind so Dinger oder auch nicht!

KF*

*KF, das ist die Abkürzung für Krankenfahrt, wie ich sie auf meinem Schicht-/Tourenzettel eintrage. Meistens läuft das Taxameter nicht, es wird eine Pauschale mit der Krankenversicherung abgerechnet, die Buchhaltung ermittelt die Entfernung und rechnet den Betrag aus.

KF’s habe ich sehr selten, die Termine bei Ärzten und Kliniken sind in der Regel Tagsüber, außer bei einigen unserer Dialysekunden.

Nun, um 19:00 holte ich eine Fahrgästin (über 70) ab, es ging zur Bestrahlung zum Klinikum Reinkenheide. Die Fahrzeit betrug um diese Uhrzeit 50 Minuten, hin und zurück, zuzüglich 20 Minuten Wartezeit an der Klinik.

50 Minuten!

Genug Zeit für Smalltalk. Das Wetter.Der Zaun, welchen der Nachbar einfach einriss. Die Katze, welche nach meinem Klingeln an der Tür zusammen mit mir auf die Öffnung gewartet hatte.

Diesen Teil hatten wir schon vor erreichen der Landesstraße ad Acta gelegt!

Bequem zurück gelehnt, Sitzheizung auf Stufe 2, gedachte ich die Dame hochherrschaftlich – ich beschrieb diesen Fahrstil vorher schon – zu chauffieren, denn unser Zeitbudget war reichlich.

Die Dame hatte Anderes vor!

Wie zu Beginn meiner Taxi-Karriere, als ich viele Patienten fuhr, geschah wiederholt das Unvermeidliche. Sie brachte mich auf den aktuellen Level ihrer Anamnese, nebst derer ihrer nächsten Angehörigen.

Ich erfuhr alles über die verschiedenen Krebsarten, welche sie heimgesucht hatten und die dazu angefachten Therapien. Seit 6 Jahren wäre sie schon dabei und nun an einem Punkt, „wo sie lieber sterben, denn Leben wolle“.

Das ist dann immer der Moment, wo mein Mitgefühls-Puffer überläuft, ich glasige Augen bekomme, nach Worten ringe und mich anstrenge gefühlvoll darauf einzugehen, ohne Aufdringlich zu erscheinen.
Vollends an den Rand der Traurigkeit brachte sie mich mit dem Hinweis, ohne den Wunsch ihrer Kinder, „sie bräuchten sie noch“, würde sie schon lange nichts mehr gegen die Krankheit unternommen haben.

Vor zwei Wochen feierte mein „Alter“ seinen 87.ten und wir hatten ein ähnliches Gespräch. Er ist nicht Todkrank, aber der Überzeugung, genug gelebt zu haben und er wolle nun nicht mehr die täglichen Gliederschmerzen und Unbill seiner Unbeweglichkeit ertragen. Und da war die Parallele zu meinem Fahrgast. Ich beschwor meinen „Daddy“ bitte nicht aufzugeben, denn „ich bräuchte ihn noch“!

Er ist mein letzter lebender Vorfahr. Ich muss noch so viel von ihm erfahren, das kann dauern. Und wenn ich „nach Hause“ in den Harz käme, und er wäre nicht mehr? Ein Teil meiner selbst wäre ausradiert!

Irgendwann wird der Abschied kommen. Ich hasse es, darüber zu spekulieren!

KF’s hinterlassen Kratzer, die Spuren glätten sich jedoch beizeiten und das Leben fließt wieder in seinem gewohnten Bett!

Ich wünsche Euch einen gefühlvollen Tag!