Zur Zeit bin ich nur Abends und Nachts unterwegs. Aber zu Beginn meiner Taxilaufbahn waren auch eine Tagschichten zu absolvieren. Ganz abgesehen davon, das ich vorm Aufwachen schon im Taxi sitzen musste (5:00 oder manchmal schon früher Dienstbeginn) ist Taxifahren im Hellen auf vielfältige Weise eine Qual.
- Da sind so viele andere Idioten unterwegs, die auch Irgendwo hin wollen.
- Sämtliche Ampeln leuchten in ihrer Pracht, meistens natürlich Rot!
Die Wegelagerer lauern an jeder Ecke.Wichtige Kontrollen durch Staatsorgane finden vermehrt statt, es werden Fotos beim Vorbeifahren gemacht.
Am Schlimmsten aber ist, was Fahrgäste manchmal absondern. Rein Gesprächstechnisch meine ich jetzt erst mal. Letztens hat uns der Chef ein Seminar gesponsert. Kommunikation stand an der Tafel, ein Unterpunkt war Smalltalk. Die nette Lehrerin Unternehmensberaterin analysierte mit uns in einem Brainstorming welche Themen unbedingt im Taxi abgehandelt werden müssen und welche geflissentlich abgewürgt werden sollen.
Aber leider waren bei dieser Schulung nur TaxifahrerInnen anwesend, keine Fahrgäste. Nach den ersten 2 Wochen im Tagesmodus war ich mit den Nerven am Ende. Ich fühlte mich schlapp, jedes Zwicken oder Drücken im Brustraum oder am Bauch ließ meinen Puls beschleunigen und verschlimmerte die Kontraktionen nur noch mehr.Eine schwere Hypochondrie bahnte sich an.
Was war passiert? Hier für Heute ein Beispiel:
Tagsüber chauffieren wir die meisten unserer Kunden zum Arzt, Krankenhaus oder Physiotherapie und wieder nach Haus. Wir fahren also kranke Menschen durch die Gegend. Ich habe zu Anfang immer richtig mitgelitten, weil ja die Taxikunden einem HerrnTaxifahrer alles erzählen können, denn der hat ja Schweigepflicht und ist ja auch gleich noch ein Gratis-Psycho-Zuhörer zum Vollspammen mit gruseligen Befindlichkeiten.
Nicht in den falschen Hals bekommen, ich mach das ja gerne, bekomme die Zeit ja bezahlt und ich will ja immer freundlich sein und die Fahrten so angenehm wie möglich machen. Aber wenn ich nicht ab und an eine (Tratschstunde) Supervision mit meinen Kollegen hätte, wäre ich schon lange durchgedreht. Man kann es auch aufschreiben, so wie hier jetzt, das befreit.
Also, ich hole eine Frau vom Krankenhaus in Bremen ab. Sie ist krank. Krebs mindestens. Nachdem ich ihr behilflich war, den Gurt anzulegen, bemerkte sie mir gegenüber, das sie völlig fertig sei und Heute nicht plaudern möchte. „Ist gut so, geht mir manchmal auch so“, antworte ich und wir fahren ab.
Jetzt kommts. 1 Minute ist die Zeit, welche ein oben beschriebener Mensch benötigt um wenigstens Zungenseitig wieder vollständig zu regenerieren und ohne Vorwarnung den Smalltalk Vortrag über seine Anamnese zu beginnen. Hier nur noch kurz das Ende der Rekapitulation meiner Fahrgästin.
“ Ich bin ja so froh, das ich jetzt nicht mehr zu Dr. $xyz gehe. Der hat alles nur noch übern Computer gemacht. Ich musste der Schwester meine Fragen aufgeben, die wurden dann eingetippt und irgendwann kam dann eine Antwort aus dem Fernseher. Richtig sauer war ich aber, weil er sich meine Füße nicht angesehen hatte. Alle Fußnägel waren schwarz geworden und 6 Stück waren schon abgefallen seit der letzten Chemo. Stellen sie sich DAS mal vor, HERRTAXIFAHRER!“
Nochmal Leute, das finde ich wirklich Bemitleidenswert, ehrlich. Und ich gehe auch immer sehr respektvoll mit allen betroffenen Patienten um, aber so was geht gar nicht. Wird sich aber nicht ändern, so grausam ist das Leben.
Und da ich, wie geschrieben, regelmäßig selbst eine Gehirnwäsche benötige, werdet ihr auch weiterhin von tollen Krankengeschichten lesen.
Hast einen angenehmen Schreibstil, weiter so!
Die Rentnerarmee ist unterwegs zur Versorgung 🙂