Gerald

Wie spricht Mann mit Jemandem der nicht spricht.

Gerald hatte bei seiner Geburt keinen guten Stern am Himmel. Er erlitt Schäden, die es ihm offensichtlich schwer machen, zu kommunizieren. Montag-Freitag fahren wir ihn zu seiner Arbeitsstelle, dem Martinshof in Bremen-Nord und holen ihn am Nachmittag wieder ab.

Morgens um 20 nach 7 fahre ich vor. Gerald steht meistens schon im Hauseingang bereit oder blinzelt hinter der Gardine des Küchenfensters hervor. Sobald ich vollständig zum Halten gekommen bin, hechtet er vorn rechts ins Taxi, schließt die Tür und schnallt sich an.

Zwischendurch nur unterbrochen durch ein „Guten Morgen, Gerald!“ meinerseits.

Er würdigt mich keines Blickes, geschweige denn Wortes. Und das mit einer bemerkenswerten Ausdauer. Tag für Tag, Fahrer für Fahrer. Von unserer Zentrale wurde ich vorher über dieses Verhalten informiert und war gespannt wie die Tour verläuft.

Sehr ruhig!

NIchts scheint ihn zu bewegen. Ob vor uns ein Tanklaster explodiert, wir eine geschlagene Stunde im Stau stehen, oder der Sprinter bei 170 km/h anfängt zu fliegen, er nimmt es mit einer stoischen Ruhe hin, ohne eine Regung zu zeigen.

Wenn das Taxi am Ziel anhält, ist er geschwind hinfort, hinter den Toren der Werkstätten entschwunden.  Fast wie ein Geist. Mit Ledertasche!

Hatte ich gerade einen Fahrgast?

Am Nachmittag dann der Anruf aus der Zentrale. Taxi-Engpaß. Spezialauftrag für mich. Den Gerald abholen, mit ihm nach Bremen rein fahren, einen Rolli zuladen und dann erst zurück. Ich bat dann die Zentrale, Geralds Eltern zu benachrichtigen, damit sie sich nicht sorgen und machte mich auf den Weg.

Gut um eine Stunde längere Tour, durch eine Stadt, die Gerald nicht kennt. Ich war mir nicht sicher, was ich machen soll. Mir lag Nichts daran, ihn in irgendeine Panik zu versetzen, wenn das überhaupt möglich wäre. Aber hinter seinem Verhalten verbirgt sich auch eine gewisse Routine. Und da wollte ich nicht dran rütteln.

In Bremen-Nord das erwartete Schauspiel. Ich stehe. Gerald prescht los und sitzt Sekunden später regungslos und angegurtet auf seinem Stammplatz.

Meine Strategie (hahaha) sah vor, Gerald über den weiteren Streckenverlauf zu informieren. Dazu setzte ich mich leicht schräg nach rechts und tippte ihm vorsichtig an die Schulter, in der Hoffnung, er würde mir seine Aufmerksamkeit für eine Sekunde schenken. Es dauerte einen weiteren sachten Stubser und 3 Sekunden bis mir ein lustiges Augenpaar begegnete. Ich hob einen Arm und zeigte Richtung Innenstadt.

“ Gerald, bitte hör mir kurz zu! Wir fahren jetzt noch nicht nach Hause. Erst müssen wir in Bremen eine andere Person abholen und dann fahren wir zurück. Hast du das verstanden!?“

„Joh!“

Er nahm umgehend seine Relaxhaltung ein, leichter Buckel, gerade nach vorn sitzend, den Blick auf den Griff des Handschuhfaches gerichtet.

So einfach war das also.

Voller Zuversicht malte ich mir aus, welch aufregende Gespräche ich wohl noch mit Gerald führen würde, das Eis war gebrochen!

An seinem Elternhaus angekommen sagte ich deutlich vernehmbar:

„Danke für die Geduld und einen schönen Abend noch!“

Weg war er. Er hat gar nicht gemerkt, das ich mich verabschieden wollte. Bis Heute habe ich dem fast 60-jährigen nichts mehr entlocken können.

Schade!

 

Ist nicht weit……….,,

Im Restaurant „Goldene Aue“ in Bokel/Gackau war schön gefeiert worden und damit der Abend unfallfrei zu Ende geht, nahmen die Herrschaften mein Taxilein in Beschlag.

“ Bist uns gleich wieder los und kannst dich wieder anstellen. Wir möchten nur nach Brahmstedt.“

Keine Ahnung, warum die meisten Fahrgäste denken, als Taxifahrer stünde man gern herum und lese Zeitung? Ich bekomme bei dieser Frage immer sofort Pickel und feuchte Hände, weil mir die ultimative Antwort noch nicht eingefallen ist. Aber eines Tages schlage ich zurück. Versprochen!

In der Tat für unsere Verhältnisse hier eine Kurzstrecke. 1,600 Meter für so € 5,30 ca.

Aber da hatten meine Fahrgäste die Rechnung ohne Polizei und Feuerwehr gemacht. Genau am Hof Gackau war ein schwerer Unfall passiert und die direkte Verbindung für Fahrzeuge und auch Fußgänger für Stunden gesperrt.

„Wir können doch nicht mit HighHeels übern Acker laufen! Dann fahren wir eben über Wittstedt!“

Und so wurde die Tour noch lukrativ, am Ende waren es dann € 22,50.

Und täglich grüßt das Murmeltier (2)

Heute war es wieder an mir, die netten Herrschaften aus der Tagespflege zu befreien und nach Hause zu entlassen.

Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln ( Sind Sie ein neuer Fahrer?-Wissen sie wo ich wohne?-Mir ist kalt!) drehte ich wie gewohnt meine Runde durch die Gemeinde Beverstedt. In einem Dorf etwas außerhalb war Oma Dörte abzusetzten.

Ich hakte Dörte, eine flotte 90-jährige, ein,  begleitete sie zum Eingang und läutete. Ihre Tochter erwartet sie um diese Uhrzeit. Aber an diesem Tag rührte sich nichts.

Omi sucht in ihrer mit Hündchen bedruckten Tasche verlegen nach ihren Schlüssel, fördert aber keinen empor.

“ Das verdammte Ding ist schon wieder weg, ich hab schon so Viele verbaselt! Aber ich weiss, wo wir einen bekommen. Da vorn, das Haus! Da wohnt meine Nichte, die wird uns helfen.“

Die Strecke war zu kurz um wieder ein-aus-ein-auszusteigen und so entschieden wie uns für einen 200m Fußmarsch und taperten los.

Dort angekommen betätigte ich die Klingel, ein Mann öffnet und schaut uns fragend an.

“ Guten Tag, HerrTaxifahrer von TaxiunternehmenVonChefVonHerrntaxifahrer, wir möchten gern den Zweitschlüssel für Frau Dörtes Haus in Anspruch nehmen!“

Er guckt wie ein Eichhörnchen, das sich nicht traut, bereitgestellte Nüsse aufzusammeln.

“ Ist das hier das Haus von NichtevonDörte?“, versuchte ich ihn endlich aufzuwecken.

“ Neee, die wohnt hier schon seit 20 Jahren nicht mehr. Und mit einem Schlüssel kann ich erst recht nicht dienen!“

Wir trollen uns und nachdem ein erneuter Versuch, Einlaß in Dörtes Haus zu erlangen fehlschlug, setzte ich sie wieder in den Bus und brachte erst meine restlichen Fahrgäste nach Haus. Danach bretzelten wir wieder zu Dörtes Tochter. Sie kam gleichzeitig mit uns an.

“ Das ist aber ein Glück, das sie Heute so spät kommen, mein Arzt hatte mich so lange warten lassen.“

Lustig, waren ja nur 15 Km Umweg für mich.

Hätte ich besser die Warnung der Pflegerinnen beachtet, nichts zu glauben, was die dementen Senioren uns erzählen.